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Aktuelle Rechtsprechung des Sozialgerichts Stuttgart

Datum: 13.08.2012

Kurzbeschreibung: Das Sozialgericht Stuttgart hat einen Auszug seiner Rechtsprechung der letzten Monate zusammengestellt. Die Sammlung enthält Fälle aus nahezu allen Rechtsgebieten der Sozialgerichtsbarkeit.

I. Grundsicherung für Arbeitsuchende

1. Ein wichtiger Grund für den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs kann aus berufsbedingten Gründen nur vorliegen, wenn der Antragsteller mit konkreter Gewinnerzielungsabsicht tätig war. Der selbständig tätige Hilfeempfänger ist grundsätzlich verpflichtet, die Führung seiner Geschäfte so auszurichten, dass die von ihm ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit ausreichende Erträge sowohl für seinen Geschäftsbetrieb als auch für seinen Lebensunterhalt einbringt (Beschluss vom 18.7.2012, Az.: S 19 AS 3136/12 ER).

Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz war die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II wegen nicht genehmigter Ortsabwesenheit. Die Antragstellerin ist selbständig als Journalistin tätig. Sie hält sich regelmäßig zur Vorstellung ihrer Bücher, zu Recherchen und Führungen auf einer nordfriesischen Insel auf. Die zuvor beantragte Genehmigung der Ortsabwesenheit war durch das Jobcenter für einzelne Tage mit der Begründung abgelehnt worden, die Antragstellerin habe im Jahr 2012 die ihr zustehenden 21 „Urlaubstage“ bereits aufgebraucht. Die Ortsabwesenheit sei an den Tagen, an denen die Antragstellerin unentgeltlich bzw. nur gegen ein Trinkgeld tätig sei, nicht beruflich veranlasst.

Das Gericht hat im Ergebnis die Einschätzung des Jobcenters bestätigt. Nach dem Gesetz erhalte keine Leistungen, wer sich ohne Zustimmung des Jobcenters außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalte und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehe. Die Zustimmung sei zu erteilen, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit-und ortsnahen Bereichs ein wichtiger Grund vorliege und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt werde. Die Dauer der Ortsabwesenheiten solle in der Regel insgesamt drei Wochen im Kalenderjahr nicht überschreiten. Im vorliegenden Fall seien die Tage, an denen die Antragstellerin nicht mit konkreter Gewinnerzielungsabsicht tätig gewesen sei, sondern unentgeltlich gearbeitet habe, nicht als berufsbedingte Ortsabwesenheit, sondern als Urlaub zu werten. Eine konkrete Gewinnerzielungsabsicht liege bereits dann vor, wenn im Rahmen der selbständigen Tätigkeit Termine wahrgenommen werden, um künftige Aufträge zu akquirieren oder Werbung für das angebotene Produkt zu machen.

2. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht regelmäßig keine Eilbedürftigkeit, Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung bei Gericht zu erhalten (Beschluss vom 29.6.2012, Az.: S 12 AS 3435/12 ER).

Der Antragsteller bezog laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im April 2012 teilte er dem Jobcenter mit, dass ihm für Fahrten zu Vorstellungsgesprächen Kosten in Höhe von insgesamt 62,30 Euro entstanden seien. Im Juni 2012 beantragte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht die Übernahme dieser Fahrtkosten durch das Jobcenter.

Das Sozialgericht lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass keine Eilbedürftigkeit bestehe. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung könne bei Leistungen nach dem SGB II in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistung für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten werde und dem Antragsteller durch das Abwarten der Hauptsacheentscheidung schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden. Die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit sei nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens. Im einstweiligen Rechtsschutz solle nur eine akute Notlage beseitigt werden, die regelmäßig erst ab Eingang des Antrages und nicht für die Vergangenheit angenommen werden könne. Eine Gewährung von Leistungen für die Zeit vor Antragstellung komme ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirke und zu einer gegenwärtigen Notlage führe. Im vorliegenden Fall habe der Antragsteller die Fahrtkosten zu den Vorstellungsgesprächen bereits vor Antragstellung beim Sozialgericht bezahlt. Er habe deshalb keinen Nachholbedarf, also keine in die Gegenwart fortwirkende Notlage, glaubhaft gemacht.

3. Sowohl der Heizspiegel 2009 der Landeshauptstadt Stuttgart als auch der bundesweite Heizspiegel 2012 erweisen sich für die Ermittlung der Angemessenheit der Kosten für die Beheizung einer Wohnung mit Gaseinzelöfen und Stromradiatoren als ungeeignet (Beschluss vom 22.6.2012, Az.: S 18 AS 2968/12 ER).

Der Antragsteller lebt in einer etwa 70 qm großen Drei-Zimmer-Wohnung, die durch Gaseinzelöfen und elektrische Radiatoren beheizt wird. Wegen sehr hoher Energiekosten war der Antragsteller in vorangegangenen Bewilligungszeiträumen zur Senkung der Heizkosten aufgefordert worden. Eine Energieverbrauchsanalyse des Energieberatungszentrums Stuttgart aus dem Jahr 2010 bestätigte ein falsches Heiz- und Lüftungsverhalten. Die vom Antragsteller zu zahlenden Abschläge für Energiekosten betrugen seit März 2012 monatlich 312 Euro. Das Jobcenter berücksichtigte bei der Leistungsbewilligung ab Juni 2012 jedoch nur Heizkosten in Höhe von 97,06 Euro. Zur Ermittlung der für angemessenen gehaltenen Heizkosten stütze sich das Jobcenter auf den Heizspiegel der Stadt Stuttgart für das Jahr 2009 und die daraus ersichtlichen Kosten für Erdgas. Der Antragsteller wandte sich daraufhin an das Sozialgericht und begehrte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Das Sozialgericht Stuttgart hat das Jobcenter im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zur Übernahme der Heizkosten in Höhe von 312,00 EUR verpflichtet. Die Übernahme der Heizkosten in tatsächlicher Höhe sei trotz des offenkundig unwirtschaftlichen Heizverhaltens des Antragstellers geboten, weil die Ermittlung der angemessenen Heizkosten durch das Jobcenter auf keiner validen Datengrundlage beruhe. Sowohl im Heizspiegel der Landeshauptstadt Stuttgart für das Jahr 2009 als auch im bundesweiten Heizspiegel 2012 seien nur Daten über zentral mit Erdgas beheizten Wohnraum berücksichtigt. Die Heizspiegel dürften deshalb nicht als Grundlage für die Festlegung der angemessenen Kosten bei der Nutzung von Strom und Gaseinzelöfen als Heizquelle herangezogen werden. Gerade die Energieverbrauchsanalyse habe bestätigt, dass die Wärmeerzeugung durch Gaseinzelöfen sehr verlustbehaftet sei.

4. Wird eine Wohnung vor Beginn des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II mit offensichtlich bestehenden (also nicht verdeckten oder später auftretenden) Mängeln angemietet und zehn Jahre lang bewohnt, so liegt kein notwendiger Umzug vor und es ist gerechtfertigt, nur die bis zum Umzug zu tragenden angemessenen Aufwendungen weiter zu zahlen (Urteil vom 5.6.2012, Az.: S 7 AS 2485/09).

Die Kläger, die seit 2004 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezogen, lebten von 1997 bis 2008 in einer 70 qm großen Wohnung mit niedriger Deckenhöhe an einer stark befahrenen Straße. Das Badezimmer lag ein Stockwerk tiefer, das Warmwasser wurde durch strombetriebene Boiler erzeugt, in der Wohnung befand sich nur ein WC ohne Waschbecken. Für diese Wohnung zahlten sie zuletzt eine Kaltmiete von 322,21 Euro monatlich. Im März 2008 zogen sie ohne Zustimmung des Jobcenters in eine 60 qm große Wohnung ihres Sohnes, für die sie eine monatliche Kaltmiete von 400 Euro zu zahlen hatten. Das Jobcenter bewilligte den Klägern auch für die Zeit nach dem Umzug Leistungen für die Unterkunft und Heizung nur in Höhe der (geringeren) Aufwendungen für die alte Wohnung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Umzug nicht erforderlich gewesen sei und die Kläger vor Abschluss des neuen Mietvertrages gesetzeswidrig keine Zusicherung des Jobcenters über die Übernahme der (höheren) Kosten der neuen Wohnung eingeholt hätten.

Das Sozialgericht Stuttgart hat die hiergegen erhobene Klage als unbegründet abgewiesen. Nach dem Gesetz seien Leistungen für die Unterkunft weiterhin nur in Höhe der bis zu einem Umzug zu tragenden angemessenen Aufwendungen zu erbringen, soweit sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen. Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung sei es, einer Kostensteigerung durch Ausschöpfung der jeweiligen örtlichen Angemessenheitsgrenzen entgegenzuwirken. Die von den Klägern behauptete Beschaffenheit der alten Wohnung rechtfertige keinen Umzug. Zwar handle es sich um einen niedrigen Wohnstandard. Erforderlich werde ein Umzug jedoch erst dann, wenn ein unzumutbarer Wohnstandard erreicht sei. Dass ein Umzug lediglich sinnvoll oder wünschenswert sei, reiche nicht aus. Außerdem sei die alte Wohnung bereits Jahre vor Beginn des Leistungsbezuges in Kenntnis dieser Mängel angemietet worden, so dass diese hinzunehmen seien. Die Kläger hätten mit ihrem Sohn in Kenntnis der Mietobergrenze des Jobcenters eine Miete vereinbart, die knapp über der Angemessenheitsgrenze liege, um ihren Wohnstandard zu verbessern. Genau diesem Verhalten wolle das Gesetz entgegenwirken.

5. Bei einem Pflichtteilsverzichtsvertrag handelt es sich weder um einen „Vertrag zu Lasten Dritter“, noch ist die Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts damit zu begründen, dass der Hilfebedürftige seine Hilfebedürftigkeit durch den Verzicht mit Schädigungsabsicht zu Lasten des Leistungsträgers aufrecht erhält. Der Pflichtteils­verzicht ist regelmäßig kein geeignetes Mittel, um zu Lasten des Leistungsträgers zu handeln (Beschluss vom 8.3.2012, Az.: S 15 AS 925/12 ER).

Der Antragsteller, der seit Dezember 2010 Arbeitslosengeld II bezog, schloss im April 2011 mit seinem Vater, der ihm zuvor testamentarisch ein lebenslanges und unentgeltliches Wohnrecht in der Dachgeschosswohnung seines Wohnhauses eingeräumt hatte, einen Pflichtteilsverzichtsvertrag. Im Juni 2011 verstarb der Vater. Nachdem das Jobcenter zunächst dar-lehensweise Leistungen weiterbewilligt hatte, lehnte es einen weiteren Fortzahlungsantrag mit der Begründung ab, dass der Antragsteller über verwertbares Vermögen verfüge; der Pflichtteilsverzichtsvertrag sei sittenwidrig und daher unwirksam.

Das Gericht hat das Jobcenter im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller darlehensweise Leistungen zu gewähren. Bei dem Pflichtteilverzichtsvertrag handele es sich weder um einen „Vertrag zu Lasten Dritter“, noch sei die Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts damit zu begründen, dass der Hilfebedürftige seine Hilfebedürftigkeit durch den Verzicht mit Schädigungsabsicht zu Lasten des Leitungsträgers aufrechterhalte. Der Pflichtteilsverzicht sei regelmäßig kein geeignetes Mittel, um zu Lasten des Leistungsträgers zu handeln

6. Eine Übernahme von Schulden zur Abwendung einer drohenden Wohnungslosigkeit durch das Jobcenter setzt voraus, dass die begehrte Schuldenübernahme zur Sicherung der bisherigen Unterkunft überhaupt geeignet ist. Mietschulden aus einem separaten Garagenmietvertrag sowie Prozess- und Anwaltskosten des Vermieters stellen jedenfalls keine übernahmefähigen Mietschulden dar (Beschluss vom 20.2.2012, Az.: S 25 AS 796/12 ER).

Der Antragsteller war von seinem Vermieter auf Zahlung von Mietrückständen für die von ihm bewohnte Wohnung und die separat angemietete Garage und von Rücklastschriftgebühren sowie auf Räumung der Wohnung verklagt worden. Er beantragte vor dem Sozialgericht, das Jobcenter im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes zur Übernahme der Schulden und Gerichtskosten zu verpflichten. Zur Begründung führte er aus, dass ihm sein Vermieter signalisiert habe, im Falle des Ausgleichs der rückständigen Mieten und Anwalts- und Gerichtskosten in seiner Wohnung verbleiben zu dürfen.

Der Antrag hatte keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass nach dem SGB II zwar auch Mietschulden darlehensweise übernommen werden könnten, dies jedoch nur, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt sei. Im vorliegenden Fall seien diese Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt, da die Übernahme von Mietschulden nur dem Zweck diene, die bisherige Wohnung zu erhalten. Eine Heilung der fristlosen Kündigung durch Zahlung der Mietrückstände sei hier jedoch nicht mehr in Betracht gekommen. Auch durch eine Übernahme der Mietschulden hätten die vom Vermieter aufgestellten Bedingungen für eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht erfüllt werden können, da dieser auch die Begleichung der Schulden aus dem Garagenmietvertrag und der Prozess- und Anwaltskosten verlangt habe, bei denen es sich nicht um übernahmefähige Mietschulden handele.

7. Das Computerprogramm „Heikos“ ist nicht geeignet, um die Angemessenheit von Heizkosten zu ermitteln (Urteil vom 12.12.2011, Az.: S 18 AS 8899/08).

Der Kläger lebt in einer 34 qm großen Obdachlosenunterkunft, für die ein monatlicher Gasabschlag von 93 Euro zu zahlen war. Das Jobcenter hatte ihn bereits früher auf die Unangemessenheit seiner Heizkosten hingewiesen. Unter Anwendung des Computerprogrammes „Heikos“ ermittelte das Jobcenter einen Betrag von 61 Euro für die monatlich angemessenen Heizkosten. Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Übernahme seiner Heizkosten in tatsächlicher Höhe.

Die Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das Sozialgericht verurteilte das Jobcenter zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung von Heizkosten in Höhe von 76 Euro. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die tatsächlich anfallenden Heizkosten gemäß dem Gesetz als angemessen anzusehen seien, soweit sie nicht einen Grenzwert überschritten, der auf unangemessenes Heizen hinweise. Ein solcher Grenzwert könne vom Jobcenter freilich nicht mit Hilfe des Computerprogramms „Heikos“ ermittelt werden, weil es nicht zulässig sei, eine Angemessenheitsobergrenze anhand von Durchschnittswerten für einzelne Berechnungsposten (Baualter, Wärmedämmung, Wirkungsgrad der Heizungsanlage) zu bilden. Dabei würden die konkreten Verhältnisse des zu beurteilenden Haushalts nicht ausreichend berücksichtigt (z. B. Fläche der Fenster, Lage der Wohnung im Haus, Fläche der Außenwände, Dämmwert der Fenster). Weil Empfängern von Arbeitslosengeld II lediglich Wohnraum zugestanden werde, der nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise, sei der Wohnraum hilfebedürftiger Menschen typischerweise durch einen unterdurchschnittlichen Energiestandard gekennzeichnet. Wenn das Jobcenter die als angemessen angesehenen Heizkosten gleichwohl auf Durchschnittswerte begrenze, verlange es dem Kläger ein überdurchschnittliches Energiesparverhalten ab. Die Berechnungsmethode des Jobcenters in Anwendung des Computerprogrammes „Heikos“ komme letztlich einer Pauschalierung der Heizkosten gleich, was jedoch dem Verordnungsgeber vorbehalten sei. Bei der Ermittlung der Angemessenheitsobergrenze sei für den Regelfall einer mit Öl, Erdgas oder Fernwärme beheizten Wohnung auf die kommunalen Heizspiegel oder, soweit diese fehlen, auf den bundesweiten Heizspiegel abzustellen. Der Kläger könne damit im Regelfall die tatsächlichen Heizkosten nur bis zur Obergrenze aus dem Produkt des Wertes für extrem hohe Heizkosten – die ungünstigste Verbrauchskategorie des Heizspiegels – und der angemessenen Wohnungsgröße (hier: 45 qm) geltend machen.

8. Eine Laktoseintoleranz rechtfertigt in der Regel keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung (Urteil vom 22.9.2011, Az.: S 3 AS 1942/09).

Der Kläger, der seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht, leidet an einer Laktoseintoleranz. Deshalb gewährte ihm das Jobcenter bis Januar 2009 einen monatlichen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro. Für die Zeit ab Februar 2009 wurde die Bewilligung eines solchen Mehrbedarfes abgelehnt, weil nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen bei einer Laktoseintoleranz kein erhöhter Ernährungsbedarf bestehe.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Die im Regelbedarf pauschalierten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts deckten grundsätzlich auch den Bedarf an einer ausgewogenen Ernährung (Vollkost). Das Gesetz sehe einen Mehrbedarf in angemessener Höhe deshalb nur für hilfebedürftige Menschen vor, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigeren Ernährung bedürften. Nach dem Willen des Gesetzgebers seien bei der Entscheidung über den ernährungsbedingten Mehrbedarf regelmäßig die medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge heranzuziehen. Die Laktoseintoleranz des Klägers begründe keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Ihm sei vielmehr ein Ausweichen auf die in vielen Supermärkten zu günstigen Preisen angebotene laktosefreie Kost zuzumuten. Der Kläger sei zwar durch die Laktoseintoleranz in seiner Lebensführung eingeschränkt. Er könne jedoch aus zahlreichen laktosefreien Grundnahrungsmitteln durch die eigene Zubereitung der Speisen unter Verzicht auf Fertigprodukte ohne finanziellen Mehrbedarf eine vollwertige Ernährung sicherstellen.

9. Rückzahlungen aus der Heizkostenabrechnung mindern die vom Jobcenter im Folge­monat zu übernehmenden Kosten für Unterkunft und Heizung auch dann, wenn das Guthaben auf Abschlagszahlungen aus der Zeit vor Beginn des Leistungsbezuges beruht (Gerichtsbescheid vom 20.7.2011, Az.: S 14 AS 6758/10).

Die Klägerin bezog nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ab Mitte September 2009 Arbeitslosengeld II. Nachdem das Jobcenter erfahren hatte, dass die Klägerin im Oktober 2009 aus der Jahresabrechnung ihres Energieversorgers ein Guthaben von rund 460,00 € erhalten hatte, forderte es die für November 2009 gewährten Leistungen teilweise in Höhe des auf die Heizkosten entfallenden Guthabensbetrages zurück.

Mit ihrem dagegen gerichteten Einwand, dass das aus den während ihrer Berufstätigkeit geleisteten Einzahlungen resultierende Guthaben ihr Eigentum sei und unterhalb des Vermögensfreibetrages liege, konnte die Klägerin nicht durchdringen, da es sich bei dem Guthaben nicht um freiwillig angespartes Vermögen, sondern um Einkommen handelt, welches unabhängig davon, wann und wie es erwirtschaftet wurde, grundsätzlich im Zeitpunkt des Zuflusses zu berücksichtigen ist. Das Gesetz sieht insoweit für Heiz- und Betriebskostenerstattungen lediglich eine Modifizierung bezüglich des Zeitpunktes und der Art der Anrechnung des Einkommens vor.

II. Arbeitslosenversicherung

1. Wenn Überstunden nicht ordnungsgemäß bezahlt werden, berechtigt dies den Arbeitnehmer nicht ohne weiteres, nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen. Das Zurückbehaltungsrecht muss konkret gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. Wird das Zurückbehaltungsrecht nicht ordnungsgemäß ausgeübt, kann ein wichtiger Grund für die Arbeitsverweigerung oder das unentschuldigte Fehlen nicht eingreifen (Urteil vom 16.5.2012, Az.: S 3 AL 892709).

Gegenstand der Klage war die Feststellung der Bundesagentur für Arbeit, dass der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld wegen einer zwölfwöchigen Sperrzeit ruhe, weil der Kläger die vom Arbeitgeber angeordnete Mehrarbeit nicht geleistet und deshalb seine Beschäftigung verloren habe. Die Klage wurde durch Urteil als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, dass der Kläger seine im Arbeitsvertrag niedergelegte Pflicht, im Bedarfsfalle auf Anordnung des Arbeitgebers Mehrarbeit zu leisten, ohne Grund verletzt habe. Er habe seine Arbeitslosigkeit schuldhaft herbeigeführt, da er vor der Kündigung in insgesamt vier Abmahnungen auf die bei wiederholten Vertragsverstößen drohende Beendigung seines Arbeitsverhältnisses hingewiesen worden sei. Der Kläger könne sich dabei nicht auf einen wichtigen Grund berufen. Da eine Sperrzeit dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor Risikofällen diene, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten habe, sei das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Arbeitslosen, sondern nach den objektiven Umständen zu beurteilen. Die vom Kläger behauptete fehlende Bezahlung der Überstunden durch den Arbeitgeber könne einen wichtigen Grund darstellen, wenn die Nichtzahlung des Lohnes eine nicht unerhebliche Höhe erreiche oder der Verzug mit den Lohnzahlungen sich über einen erheblichen Zeitraum erstrecke und der Arbeitnehmer diese Vertragsverletzung abgemahnt habe. Im vorliegenden Fall könne der Kläger jedoch kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen, weil er dem Arbeitgeber vor der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts (d. h. der Nichtleistung der angeordneten Überstunden) nicht klar und eindeutig mitgeteilt habe, dass er dieses Recht aufgrund einer bestimmten schuldhaften Nichterfüllung einer konkreten Pflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausüben werde. Der pauschale Hinweis des Klägers, er habe Überstunden geleistet und diese nicht ordnungsgemäß bezahlt bekommen, reiche hierfür nicht aus.

2. Die für den Bezug von Arbeitslosengeld erforderliche Arbeitslosigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Erwerbstätigkeit schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeitszeit weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst. Maßgeblich ist dabei der tatsächliche Umfang der Arbeitstätigkeit (Urteil vom 2.2.2012, Az.: S 5 AL 1673/08).

Der Kläger arbeitete im Januar und März 2005 als Wirtschafter einer Vermietungsgesellschaft von Stundenzimmern. Nach den im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den damaligen Arbeitgeber des Klägers wegen Sozialleistungsbetrug und Schwarzarbeit auf dem beschlagnahmten PC sichergestellten Monatslisten war er im Januar und März 2005 insgesamt jeweils 25 Stunden wöchentlich beschäftigt und erhielt dafür einen Stundenlohn von mindestens acht Euro brutto. Der Geschäftsführer der Zimmervermietungsgesellschaft bestätigte im Zuge des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens diese Prüfungsfeststellungen des Hauptzollamtes Stuttgart und der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Da der Kläger jedoch gegenüber der Bundesagentur für Arbeit angegeben hatte, eine Beschäftigung lediglich unter 15 Stunden wöchentlich auszuüben und hierfür ein Entgelt von 165 Euro monatlich brutto zu erhalten, forderte die Bundesagentur für Arbeit das aufgrund dieser Angaben für die Monate Januar und März 2005 bewilligte Arbeitslosengeld nach Bekanntwerden der tatsächlichen Arbeitszeiten des Klägers in Höhe von 2.087 Euro zurück. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Sozialgericht Stuttgart als unbegründet abgewiesen. Die Bewilligung von Arbeitslosengeld sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Strafverfahren stehe fest, dass der Kläger von Beginn der von ihm gemeldeten Arbeitslosigkeit an tatsächlich gar nicht arbeitslos im Sinne des Gesetzes gewesen sei, da er regelmäßig mehr als 15 Stunden wöchentlich in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden sei.

3. Zur Annahme einer unbilligen Härte bei verspäteter Beantragung einer Transfermaßnahme (Urteil vom 6.12.2011, Az.: S 4 AL 5946/09).

Die Klägerin führte vom 17.3.2009 bis 20.3.2009 eine Transfermaßnahme in Form eines Profiling ihrer Mitarbeiter durch. Am 18.5.2009 beantragte sie für diese Maßnahme einen Zuschuss in Höhe von 32.500 Euro von der Bundesagentur für Arbeit. Diese lehnte den Antrag ab, da er verspätet gestellt worden sei. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Förderung der Transfermaßnahme habe, weil die Leistungen nicht vor Beginn der Maßnahme beantragt worden seien. Zwar könne die Bundesagentur nach dem Gesetz auch eine verspätete Antragstellung zulassen, um unbillige Härten zu vermeiden. Eine unbillige Härte liege vor, wenn den Antragsteller ein geringes Verschulden an der verspäteten Antragstellung treffe und die Folgen erheblich seien. Dabei erfolge stets im Einzelfall eine Güterabwägung zwischen den Individualinteressen der Antragsteller und dem Interesse der Versichertengemeinschaft an der Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung. Es komme darauf an, welche realen Folgen die Verspätung für die Möglichkeiten eines effektiven Mitteleinsatzes habe und ob die Leistung zum Zeitpunkt der Antragstellung ihren Zweck noch erfüllen könne oder jedenfalls zur Stabilisierung eines Beschäftigungsverhältnisses diene. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Bundesagentur habe der Klägerin die Durchführungsanweisungen über die Transfermaßnahmen zur Verfügung gestellt, in denen über den Verfahrensablauf und insbesondere die Notwendigkeit einer vorzeitigen Beantragung informiert worden sei. Aufgrund der langjährigen Berufserfahrung der Personalleiterin der Klägerin in verschiedenen Unternehmen und der damit verbundenen Sachkompetenz dürfe ihr die eigenverantwortliche Sichtung der Durchführungsanweisungen durchaus zugemutet werden. Ein konkreter Beratungsfehler der Bundesagentur für Arbeit in Form einer Nicht- bzw. Falschauskunft bezüglich der einzuhaltenden Antragsfristen sei nicht erkennbar. Schließlich spreche der Umstand, dass der Antrag erst zwei Monate nach dem Profiling der Mitarbeiter eingereicht wurde, dafür, dass die Transfermaßnahme auch ohne die beantragte Förderung durchgeführt werden konnte.

4. Ist bei der Aufgabenübertragung auf die Landkreise im Zuge der Verwaltungsstrukturreform 2005 der Altersteilzeitarbeitnehmer im Landesdienst geblieben, während der für ihn eingestellte Arbeitnehmer zum kommunalen Arbeitgeber gewechselt hat, verliert das Land Baden-Württemberg den Anspruch auf Förderleistungen nach dem Altersteilzeitgesetz. Denn trotz ihrer funktionalen Verflechtungen als Teile der Landesverwaltung sind das Land Baden-Württemberg und die kommunalen Träger verschiedene Arbeitgeber (Urteil vom 22.11.2011, Az.: S 16 AL 6762/09).

Frau E. B. war seit 1990 bei einer unteren Sonderbehörde des klagenden Landes Baden-Württemberg als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Im November 2001 vereinbarte sie mit dem Land Altersteilzeit im Blockmodell mit einer Arbeitsphase vom 1.12.2001 bis 31.5.2004 und einer Freistellungsphase vom 1.6.2004 bis 30.11.2006. Das Land besetzte den freigewordenen Arbeitsplatz ab dem 1.6.2004 mit der bislang arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmerin I. S. Die beklagte Bundesagentur für Arbeit erkannte mit Bescheid vom 21.6.2004 den Anspruch auf Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz dem Grunde nach für die Zeit vom 1.12.2001 bis 30.11.2006 an. Im Zuge der Verwaltungsstrukturreform Baden-Württemberg wurden die Aufgaben der unteren Sonderbehörde mit Wirkung ab 1.1.2005 auf die Landratsämter als untere Verwaltungsbehörde übertragen. Die zur Wiederbesetzung der Arbeitsstelle beschäftigte Verwaltungsangestellte I. S. schloss daraufhin einen Arbeitsvertrag mit dem Landkreis Göppingen ab. Die Altersteilzeitarbeitnehmerin E. B. verblieb hingegen auf eigenen Wunsch im Landesdienst. Die Bundesagentur für Arbeit hob daraufhin den Anerkennungsbescheid vom 21.6.2004 mit Wirkung für die Zukunft auf, da die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung entfallen seien.

Die hiergegen gerichtete Klage des Landes Baden-Württemberg wurde vom Sozialgericht Stuttgart abgewiesen. Nach Erlass des Anerkennungsbescheides sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Mit dem Ausscheiden der I. S. aus dem Landesdienst und der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Landkreis Göppingen zum 1.1.2005 seien die Voraussetzungen der Förderung nach dem Altersteilzeitgesetz nachträglich entfallen, weil das Land seitdem keine für die Altersteilzeitarbeitnehmerin eingestellte Ersatzkraft mehr beschäftigt habe. Nach den Vorschriften des Altersteilzeitgesetzes werde die Förderung nur gewährt, wenn und solange „der Arbeitgeber“ die freigewordene Stelle wieder besetze. Die Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz setzten nach Gesetzeswortlaut, beschäftigungspolitischem Ansatz und ihrer Zielsetzung voraus, dass der Arbeitgeber des Altersteilzeitarbeitnehmers und der Arbeitgeber des Wiederbesetzers identisch seien. Im vorliegenden Fall seien das Land Baden-Württemberg und der Landkreis Göppingen trotz der funktionalen Verflechtungen nicht als identischer Arbeitgeber anzusehen. Der Landkreis stelle eine eigenständige Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts dar. Dass der Landkreis sowohl als Kreis- als auch als Landesbehörde tätig werde, begründe weder eine rechtliche Personenidentität noch eine arbeitsrechtliche Direktionsbefugnis des Landes über die Angestellten des Landkreises.

5. Der Arbeitslosengeldanspruch eines ehemaligen Referendars ruht im Monat des erfolgreichen Bestehens der zweiten Staatsprüfung bei Erhalt der vollen Unterhaltsbeihilfe (Urteil vom 6.10.2011, Az.: S 15 AL 3697/11).

Der Kläger beendete am 11.4.2011 den juristischen Vorbereitungsdienst der Eröffnung über das Bestehen des zweiten juristischen Staatsexamens. Gemäß der Regelung im Landesbesoldungsgesetz erhielt er die zuvor bezogene Unterhaltsbeihilfe auch für den gesamten Monat April 2011. Die vom Kläger mit dem Ziel erhobene Klage, Arbeitslosengeld entgegen dem Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit nicht erst ab dem 1.5.2011, sondern bereits ab dem 12.4.2011 zu erhalten, blieb ohne Erfolg. Das Gericht stellte fest, dass entgegen der Auffassung des Klägers sein Arbeitslosengeldanspruch im streitigen Zeitraum geruht habe, weil es sich bei den gesamten für den Monat April 2011 erhaltenen Bezügen um Einnahmen aus einer Beschäftigung gehandelt habe.

III. Rentenversicherung

1. Auch beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist die rückwirkende Leistungserbringung auf vier Jahre begrenzt (Urteil vom 28.6.2012, Az.: S 22 R 2386/09).

Der im Februar 1941 geborenen Klägerin war zunächst für die Zeit ab dem 1.3.2001 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit bewilligt worden. Nach einem im November 2008 vom Rentenversicherungsträger erteilten Hinweis beantragte die Klägerin, ihr anstelle ihrer bisherigen Rente die höhere Altersrente für Frauen zu gewähren. Dem gab der Rentenversicherungsträger für die Zeit ab dem 1.1.2004 statt. Mit ihrer auf Neuberechnung der Rente bereits ab dem 1.3.2001 gerichteten Klage konnte die Klägerin nicht durchdringen. Das Sozialgericht verwies darauf, dass auch soweit die Beklagte gegen ihre Pflicht verstoßen habe, die Klägerin hinsichtlich der für sie günstigsten Altersrentenart zu beraten, eine Gewährung der höheren Rente für die Zeit vor dem 1.1.2004 nicht in Betracht komme, da auch im Falle eines aus einem Beratungsfehler resultierenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X entsprechend anzuwenden sei, wonach Sozialleistungen bei Rücknahme eines Verwaltungsaktes für die Vergangenheit längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden.

2. Ein Rettungsassistent, der neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit beim Deutschen Roten Kreuz nur stundenweise für die Deutsche Luftrettung tätig ist, übt eine selbständige, nicht versicherungspflichtige Tätigkeit aus (Urteil vom 24.4.2012, Az.: S 17 R 3913/10).

Das Sozialgericht hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass der für die Deutsche Luftrettung tätige Rettungsassistent in der Entscheidung, ob er eine Schicht übernimmt, frei ist und keine zwingende ständige Dienstbereitschaft hat. Auch das während des Einsatzes bestehende Weisungsrecht des Arztes beziehungsweise des Piloten stehe einer selbständigen Tätigkeit nicht entgegen, da dies den luftverkehrstechnischen und medizinischen Gegebenheiten während eines Luftrettungsfluges geschuldet sei. Zudem trage der Rettungsassistent auch ein Unternehmerrisiko, da er die erforderlichen medizinischen Fortbildungen und Flugtauglichkeitsprüfungen auf eigene Kosten absolvieren müsse.

3. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ist dann nicht befristet sondern auf Dauer zu gewähren, wenn es nach Ausschöpfung aller Behandlungsmethoden unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (Urteil vom 17.4.2012, Az.: S 9 R 7935/09).

Nach dem Gesetz werden Erwerbsminderungsrenten grundsätzlich als Zeitrente gewährt. Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Befristung der Erwerbsminderungsrente kommt nur in Betracht, wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung behoben werden kann. Ein schwerwiegender medizinischer Grund, der gegen eine rentenrechtlich relevante Besserungsaussicht spricht, liegt vor, wenn zum maßgebenden Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und eine Besserung der geminderten Erwerbsfähigkeit unwahrscheinlich ist.

Diese Voraussetzungen sah das Sozialgericht im vorliegenden Fall als erfüllt an. Die Klägerin leide an einer atypischen Leukämie großer granulärer Lymphozyten mit T-Zell-Phänotyp, die zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung im Rahmen einer Studie des Universitätsklinikums Ulm bereits zweimal mit Methotrexat worden sei, wobei die Therapie jeweils wegen schwerwiegender Nebenwirkungen (überregelstarke und verlängerte Monatsblutungen, schwerer Mangel an Blutplättchen) habe ausgesetzt bzw. abgebrochen werden müssen und nicht festgestanden habe, ob und in welcher Form mit welchem Medikament ein erneuter Therapieversuch bei der Klägerin unternommen werden könne, zumal die Leukämieerkrankung im Blutbild weiterhin nachweisbar gewesen sei. Auch wenn das Gesetz im Regelfall von der Gewährung einer Zeitrente ausgehe, sei die Gewährung einer Dauerrente bei Versicherten, die sich aufgrund schwerstwiegender Erkrankungen hochriskanten Behandlungsversuchen aussetzten, deren Erfolgsaussichten bisher wissenschaftlich nicht dokumentiert seien, ausnahmsweise gerechtfertigt.

4. Ein Shop-in-Shop-Verkäufer ist jedenfalls dann abhängig beschäftigt, wenn er pauschal vergütet wird, kein Gewerbe angemeldet hat und auch kein unternehmerisches Risiko trägt (Urteil vom 7.3.2012, Az.: S 4 R 6197/09).

Das Sozialgericht hat in dem entschiedenen Fall die Arbeitnehmereigenschaft des beigeladenen Shop-in-Shop-Verkäufers angenommen. Nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung sei der Shop-in-Shop-Verkäufer bei der Klägerin, die Hersteller beim Verkauf ihrer Produkte im Einzelhandel unterstützt, nicht selbständig beschäftigt gewesen. Dass der Shop-in-Shop-Verkäufer seine Arbeit nicht in der Betriebsstätte der Klägerin, sondern in einem Baumarkt verrichtet habe, sei rechtlich ohne Bedeutung, weil dies aus den Besonderheiten der konkreten Tätigkeit und damit aus der Natur der Sache folge. Ein großer Gestaltungsspielraum mit Blick auf die Arbeitszeit und Arbeitsort sei nicht zu erkennen. Die täglich geleistete Stundenzahl sei im Baumarkt erfasst worden. Nachdem sich der Shop-in-Shop-Verkäufer entschieden habe, eine von der Klägerin angebotene Tätigkeit zu übernehmen, sei er deren Weisungsrecht unterworfen worden. Die Klägerin habe dann Ort, Zeit und Dauer des Arbeitseinsatzes bestimmt. In einem Pflichtenheft des Herstellers seien allgemeine Verhaltensregeln für Shop-in-Shop-Verkäufer aufgestellt und deren Aufgaben konkretisiert worden (z. B. Tragen von Kleidung mit dem Logo des Herstellers, Eintrag ins Lieferantenbuch bei Ankunft und Verlassen des Baumarktes, Pflege der Verkaufsfläche, Aktualisierung von Werbematerial, Meldung von fehlender oder beschädigter Ware). Auch wenn die Einhaltung dieser Vorgaben nicht streng überwacht worden sei, verbleibe dem Shop-in-Shop-Verkäufer kein großer eigener Gestaltungsspielraum. Jener habe auch kein unternehmerisches Risiko als Kennzeichen einer selbständigen Tätigkeit. Außerhalb der teilweise selbst gestellten Kommunikationsmittel wie Telefon oder Computer habe er keine Betriebsmittel eingesetzt und kein eigenes Kapital mit der Gefahr des Verlustes investiert. Wie für einen Arbeitnehmer typisch, habe er allein seine Arbeitskraft und Berufserfahrung eingesetzt und dafür jeweils eine Tagespauschale von 100 Euro erhalten. Da er für eine konkrete Arbeitsleistung eine bestimmte Vergütung erwarten durfte, sei er keinem Vergütungsrisiko ausgesetzt gewesen. Dass der Shop-in-Shop-Verkäufer das Risiko getragen habe, im Falle von Krankheit oder sonstigen Hinderungsgründen kein Entgelt zu erhalten, spreche nicht für Selbständigkeit, weil dem keine größere Freiheit bei der Gestaltung und Bestimmung des Umfanges des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehe. Der Shop-in-Shop-Verkäufer habe sich im Falle eines krankheitsbedingten Arbeitsausfalls auch weder um eine Ersatzkraft bemühen noch die Kosten dafür tragen müssen. Das Abführen und Erheben von Umsatzsteuer durch den Shop-in-Shop-Verkäufer sei kein maßgebliches Indiz, um eine Tätigkeit als selbständige Beschäftigung zu erachten. Gleiches gelte für die bloß formalvertragliche Berechtigung des Shop-in-Shop-Verkäufers, Arbeiten auch durch andere durchführen zu lassen, wenn von dieser Berechtigung tatsächlich nie Gebrauch gemacht werde und die persönliche Leistungserbringung die Regel sei. Diese Umstände seien allein Ausdruck des Willens der Vertragspartner, die Tätigkeit eines Shop-in-Shop-Verkäufers als eine selbständige zu behandeln. Dieser Wunsch allein mach aus einem tatsächlich bestehenden Beschäftigungsverhältnis aber keine selbständige Tätigkeit, zumal für die Tätigkeit als Shop-in-Shop-Verkäufer kein Gewerbe angemeldet worden sei und kein Einfluss auf die Preisgestaltung und Kalkulation bestanden habe.

5. Ein Ausbildungsberuf ist keine Voraussetzung für einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe. Die Minderung der rehabilitationsrechtlich relevanten Erwerbsfähigkeit ist berufsbezogen entsprechend auf ungelernte Tätigkeiten anzuwenden. Maßstab ist das typische Anforderungsprofil, das die Verrichtung der ungelernten Tätigkeit prägt, jedoch nicht die konkret ausgeübte Tätigkeit (Urteil vom 6.2.2012, Az.: S 21 R 7167/10).

Die Klägerin hatte keinen Beruf erlernt, war von 1976 bis 1985 in der Warenkontrolle tätig und von 2001 bis 2005 im Regalservice geringfügig beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie im Rahmen eines Minijobs im Regalservice mit. Ihr Antrag auf Leistungen zur Teilhabe durch Qualifizierung in einen anderen Beruf wurde von der Deutschen Rentenversicherung Bund abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht führte zur Begründung aus, dass die Klägerin noch in der Lage sei, Helfertätigkeiten im Verkauf vollschichtig auszuüben, so dass ihre Erwerbstätigkeit nicht erheblich gefährdet und damit kein Rehabilitationsbedarf gegeben sei. Maßgeblich sei auch bei der Prüfung von Teilhabeleistungen einer ungelernten Versicherten, ob diese den typischen Anforderungen ihrer bisherigen Tätigkeit nicht mehr gewachsen sei. Abzustellen sei im Falle der Klägerin auf die Tätigkeit der Helferin im Verkauf und nicht auf die konkrete Tätigkeit der Regalauffüllerin oder der Warensortiererin. Die Aufgaben von Helfern im Verkauf erstreckten sich auf Kundenberatung, Kassieren, das Verpacken von Waren, das Auszeichnen der Waren mit Preisen, das Einräumen von Waren in Regale, das umgehende Auffüllen von Lücken mit Nachschub aus dem Lagerraum, sowie die Mithilfe bei der Dekoration der Verkaufsräume, bei Qualitätskontrollen und Warenbestandsprüfungen. Das Heben und Tragen schwerer Lasten, das der Klägerin nach übereinstimmender Auskunft der behandelnden Ärzte nicht mehr möglich sei, stelle keine allgemeine berufstypische Anforderung der Helfertätigkeit im Verkauf dar. Außerdem könne die Klägerin innerbetrieblich umgesetzt werden. So sei beispielsweise eine Tätigkeit an der Kasse leidensgerecht, weil diese Tätigkeit kein Heben und Tragen schwerer Lasten erfordere.

IV. Krankenversicherung

1. Die außerordentliche Kündigung eines zwischen einer Krankenkasse und einem ambulanten Pflegedienst geschlossenen Versorgungsvertrages über häusliche Krankenpflege setzt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Bestimmungen des Rahmenvertrages voraus. Ein ordentliches Kündigungsrecht ist darin nicht vorgesehen (Beschluss vom 25.6.2012, Az.: S 9 KR 1987/12 ER).

Das Sozialgericht stellte im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig fest, dass der Versorgungsvertrag über häusliche Krankenpflege nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht durch eine außerordentliche Kündigung der Krankenkasse beendet worden sei. Der ambulante Pflegedienst habe nicht in schwerwiegender Weise gegen Bestimmungen des Rahmenvertrages verstoßen. Dass der medizinische Dienst der Krankenkassen im Rahmen einer unangemeldeten anlassbezogenen Abrechnungsprüfung freie Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes bei den häuslich versorgten Patienten angetroffen habe, stelle noch keinen Kündigungsgrund dar. Aus dem Rahmenvertrag ergebe sich lediglich ein Vermittlungsverbot von Pflegeaufträgen an Dritte gegen Entgelt. Der Einsatz unentgeltlich vermittelter freier Mitarbeiter sei jedoch gemäß den Bestimmungen des Rahmenvertrages zulässig, wenn notwendige Einsätze, die der ambulante Pflegedienst nicht ausführen könne, dies erforderten. Die Krankenkasse habe jedoch nicht ermittelt, ob in den konkreten Fällen ein solcher ausnahmsweise erlaubter Einsatz freier Mitarbeiter erfolgt sei. Auch der im Rahmenvertrag vorgesehene außerordentliche Kündigungsgrund der Fälschung abrechnungsrelevanter Unterlagen sei bei summarischer Prüfung nicht erfüllt. Zwar habe der medizinische Dienst der Krankenkassen erhebliche Dokumentationsdefizite und inhaltliche Widersprüche bei der Leistungsabrechnung des ambulanten Pflegedienstes festgestellt. Die fehlerhafte Abrechnung reiche jedoch für eine außerordentliche Kündigung des Versorgungsvertrages nicht aus, da der Rahmenvertrag bei Vertragsverletzungen ein gestuftes Sanktionssystem vorsehe und eine Kündigung mit sofortiger Wirkung erst bei fortgesetzten Vertragsverstößen trotz Aufforderung zur Abhilfe bzw. Unterlassung ausgesprochen werden dürfe. Eine Fälschung abrechnungsrelevanter Unterlagen, mithin ein bewusstes und zielgerichtetes Fehlverhalten mit Schädigungsabsicht habe die Krankenkasse dem ambulanten Pflegedienst nicht nachweisen können. Die Krankenkasse habe diesbezüglich den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Schließlich stelle das nachgewiesene Fehlen formaler Qualifikationsnachweise der in der häuslichen Pflege beschäftigten Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes keinen vergleichbar schwerwiegenden Vertragsverstoß dar, der die Krankenkasse zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könne. Die Krankenkasse habe nicht dargelegt, dass durch die fehlende Qualifikation der Mitarbeiter eine Schädigung von Patienten zu befürchten oder bereits eingetreten sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Krankenkasse den ambulanten Pflegedienst vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung mit den festgestellten Abrechnungsdifferenzen und fehlenden Qualifikationsnachweisen für einzelne Mitarbeiter konfrontiert und Abhilfe verlangt hätte.

Der Krankenkasse stehe schließlich aufgrund der Vertragsverstöße des ambulanten Pflegedienstes auch kein ordentliches Kündigungsrecht zu. Die ordentliche Kündigung des Versorgungsvertrages sei im Rahmenvertrag nicht vorgesehen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hätten Pflegedienste, die die fachlichen, personellen und räumlichen Voraussetzungen für eine angemessene Pflege erfüllen, gegen die Krankenkassen einen Rechtsanspruch auf den Abschluss eines Versorgungsvertrages. Das Grundrecht der Berufsfreiheit vermittle dem ambulanten Pflegedienst ein Recht auf ungestörte Marktteilnahme, solange er die Zulassungsvoraussetzungen der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Pflege erfülle. Dies verbiete eine Kündigung des Versorgungsvertrages ohne besonderen Anlass, da der Verlust der Versorgungsberechtigung angesichts der Monopolstellung der gesetzlichen Krankenversicherung die wirtschaftliche Situation des Pflegedienstes nachhaltig verschlechtern und bis zur Existenzgefährdung führen könne.

2. Eine sog. „dauernde Last“ welche im Einkommenssteuerbescheid als Sonderausgabe einkommensmindern berücksichtigt werden kann, führt nicht zur Minderung des Einkommens, aus welchem die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu berechnen sind(Urteil vom 29.5.2012, Az.: S 26 KR 8033/10).

Der Kläger ist als Inhaber einer Bäckerei selbständig. Diese Bäckerei wurde dem Kläger im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge von seinen Eltern mit notariellem Vertrag übereignet. In diesem Vertrag ist u.a. niedergelegt, dass der Kläger an seine Eltern monatlich 1.500 Euro als sog. dauernde Last zu zahlen hat. Diese dauernde Last hat das Finanzamt im Einkommenssteuerbescheid als Sonderausgabe berücksichtigt. Die Beklagte hat jedoch diese dauernde Last bei der Berechnung des Einkommens, aus dem die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung berechnet werden, nicht einkommensmindernd berücksichtigt.

Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht abgewiesen. Die dauernde Last könne nicht von den Einnahmen des Klägers einkommensmindernd abgezogen werden. Ausweislich des Steuerbescheides für das Jahr 2008 sei die dauernde Last des Klägers nicht als abzugsfähige Werbungskosten, sondern als Sonderausgabe dargestellt, da sie mit den Einkünften nicht im wirtschaftlichen Zusammenhang stehe. Zu den Werbungskosten zählten nur solche Aufwendungen, die zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen aufgewendet werden müssten. Soweit der Kläger vortrage, durch die dauernde Last erspare er sich die Zahlung von Miete oder Pacht, führe dies zu keiner abweichenden Beurteilung, da diese Einkünfte in keinem Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb oder dem Kapitalvermögen stünden. Die dauernde Last sei hiervon insoweit unabhängig. Bei der hier gewählten Vertragsgestaltung handele es sich um eine solche der vorweggenommenen Erbfolge, die im familiären Umfeld wurzele und mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb nichts zu tun habe. Hätte man die Berücksichtigung der dauernden Last als Pachtzahlung gewollt, wäre es an den Parteien des notariellen Vertrages gewesen, eine andere rechtliche Gestaltung zu wählen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung könne sich eine Kasse in ihrer Satzung für eine von mehreren steuerrechtlichen Möglichkeiten entscheiden oder auch eine hiervon abweichende pauschalierende und typisierende Regelung vorsehen. Bei Fehlen einer Satzungsregelung sei eine Anlehnung an das Steuerrecht geboten. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte sich in ihrer Wertung an die steuerrechtliche Einstufung des Betrages halte, da eine konkrete Satzungsregelung zur dauernden Last fehle.

3. Ein gesetzlich Krankenversicherter hat Anspruch auf Übernahme der Kosten ärztlich verordneten Rehabilitationssports in Gruppen nur, wenn er aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage ist, an anderen Sportgruppen teilzunehmen oder sich in Mannschaftssportarten zu betätigen (Urteil vom 14.2.2012, Az.: S 16 KR 8187/09).

Der Kläger erlitt im April 2007 einen Herzinfarkt, der durch eine Bypass-Operation versorgt wurde. Im Anschluss an die Krankenhausbehandlung nahm er von Oktober 2007 bis September 2009 am Rehabilitationssport in einem Turnverein teil. Die Kosten hierfür übernahm die beklagte Krankenkasse, lehnte aber die Weiterbewilligung der Kostenübernahme für Rehabilitationssport für die Zeit ab Oktober 2009 ab.

Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht hatte keinen Erfolg. Die Begründung des klageabweisenden Urteils stützt sich darauf, dass beim Kläger keine Behinderung mehr vorliege, die durch eine weitere Teilnahme am Rehabilitationssport zu beseitigen, zu mindern oder auszugleichen sei. Jedenfalls seit Sommer 2009 bestünden nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine gesundheitlichen Einschränkungen mehr. Der Kläger betreibe regelmäßig selbständig Ausdauer- und Mannschaftssport. Er fahre täglich Fahrrad und lege dabei auch längere Strecken zurück. Zudem spiele er regelmäßig Volleyball. Eine Teilnahme am Rehabilitationssport in Gruppen sei für den Kläger deshalb nicht unentbehrlich. Er habe deshalb keinen Anspruch auf Versorgung mit Rehabilitationssport in Gruppen für weitere zwei Jahre. Das Vorliegen einer Krankheit oder Behinderung verpflichte die Krankenkasse nämlich nicht dazu, jede gewünschte, sinnvolle oder für optimal gehaltene Maßnahme zu gewähren. Vielmehr beschränke sich die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auf die nach objektiven Umständen notwendigen und wirtschaftlichen Leistungen. Notwendig sei dabei eine Leistung, die nach Art und Ausmaß zur Erreichung des Behandlungs- bzw. Rehabilitationszwecks zwangsläufig, unentbehrlich und unvermeidlich sei.

 

V. Unfallversicherungsrecht

1. Ein epileptischer Anfall im Swinger-Club kann Folge eines Arbeitsunfalls sein und ist dann zusätzlich zu entschädigen (Urteil vom 22.3.2012, Az.: S 13 U 6176/09).

Der Kläger, gelernter Mauerer, stürzte bei seiner Tätigkeit mehrere Meter von einem Dach in die Tiefe. Er erlitt schwerste Verletzungen, unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma. Nach künstlichem Koma und langer Rekonvaleszenz konnte er anschließend nur noch stundenweise als Bauhelfer tätig sein und bezog eine Teil-Rente auf unbestimmte Zeit von der zuständigen Berufsgenossenschaft. Der Sturz vom Dach war als Arbeitsunfall anerkannt worden. Knapp acht Jahre später erlitt der Kläger um etwa 4 Uhr in der Nacht in einem sog. Swinger-Club einen Zusammenbruch, bei dem er sich weitere, mittlerweile ausgeheilte Verletzungen des Rückens zuzog. Dies wurde später als epileptischer Anfall eingeordnet; der Kläger musste diesbezügliche Medikamente nehmen. Sowohl ein von der Berufsgenossenschaft eingeholtes Gutachten einer Neurologin als auch ein im späteren Gerichtsverfahren von einem Neurologen erstelltes Gutachten kamen zu dem Ergebnis, dass ein epileptische Anfall vorliegt. Angesichts der erheblichen Schwere der früheren Schädelverletzung sei dieser auch dessen Folge. Die schweren Schädelverletzungen hätten die Grundlage für dieses neurologische Leiden gelegt. In der Konsequenz seien die Einschränkungen durch die weitere Anfallsneigung, Medikamentenpflichtigkeit sowie zeitweises Autofahrverbot mit zu entschädigen und die Rente nach einem höheren Satz zu gewähren. Die rentengewährende Berufsgenossenschaft lehnte dies auch im Gerichtsverfahren weiterhin ab. Vor allem die unklaren Umstände vor Ort in einem solchen Etablissement und während des Anfalls, eine anzunehmende Übermüdung sowie ein bloß einmaliges Ereignis sprächen gegen einen hier zu fordernden maßgeblichen rechtlichen Zusammenhang. Es sei noch nicht einmal klar, ob es sich um einen echten epileptischen Anfall handele.

Dieser Auffassung widersprach die erkennende Kammer des Sozialgerichts Stuttgart und gab einer Klage des Dachdeckers statt. Eine Verletztenrente sei nun zeitweise nach einem höheren Satz zu gewähren. Auch ohne einen Ortstermin und Zeugenbefragungen zu weiteren Einzelheiten in der Anfallsnacht folgte das Sozialgericht den Darstellungen der beiden befassten Neurologen. Denn ein gesunder Mensch erleide beim Besuch eines Swinger-Clubs zu nachtschlafender Zeit keinen epileptischen Anfall, wenn keine Vorschäden bestünden. Ein solcher Anfall bedürfe hirnorganischer Veränderungen, um zu entstehen. Dabei sei mittlerweile in der Medizin anerkannt, dass auch leichtere Schädelverletzungen noch binnen ca. 15 Jahren Grundlage für einen solchen Anfall sein könnten. Vorliegend handele es sich um eine äußerst schwere Schädelverletzung und der erste Anfall sei innerhalb von acht Jahren nach dem Vorgang aufgetreten. Es habe auch nicht erst ein weiterer Anfall des mittlerweile mit entsprechenden Medikamenten behandelten Klägers auftreten müssen. Das Gericht habe sich dabei weder zum Anfallsort eine moralische Bewertung abzugeben noch diesbezüglich mangels Erheblichkeit weitere Ermittlungen anzustellen gehabt. Die medizinischen Rahmenbedingungen und nicht die sozialen seien hier maßgeblich gewesen.

VI. Schwerbehindertenrecht

1. Solange ein schwerbehinderter Mensch mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist ihm die Teilnahme daran nicht unmöglich. Bei fehlender Verfügbarkeit von Hilfsmitteln oder einer Begleitperson kann er auf die Inanspruchnahme der Sozialdienste verwiesen werden. Bei Harn- und Stuhlinkontinenz ist das Tragen von Windelhosen zumutbar. Die für eine Befreiung von den Rundfunkgebühren notwendige Voraussetzung, dass eine Person wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann, ist insoweit nicht erfüllt (Gerichtsbescheid vom 28.2.2012, Az.: S 6 SB 6952/09).

Bei dem 1939 geborenen Kläger wurde vom Versorgungsamt im Jahr 2009 wegen Ge-brauchseinschränkung beider Beine, Schlaganfallfolgen, operierter arterieller Verschlusskrankheit, Anfallsleidens, hirnorganischen Psychosyndroms, arterieller Verschlusskrankheit beider Beine, Kniegelenksendoprothese beidseits, Herzleistungsminderung, koronarer Herzkrankheit, Stent-Implantation, Bluthochdruck, Prostatavergrößerung und Harninkontinenz ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt. Die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Merkzeichen „RF“) wurde vom Versorgungsamt abgelehnt. Diese Entscheidung wurde vom Gericht mit der Begründung bestätigt, dass eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nur für schwerbehinderte Menschen möglich sei, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall, da er trotz seiner zahlreichen schwerwiegenden Gesundheitsstörungen, auch trotz seiner Gehbehinderung und seines Anfallsleidens, mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen könne, ggfs. sei die Hilfe von Sozialdiensten in Anspruch zu nehmen. Auch die vorliegende Harn- und Stuhlinkontinenz stehe dem Besuch öffentlicher Veranstaltungen nicht generell entgegen, da insoweit das Tragen von Windelhosen zumutbar sei.

VII. Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts

1. Wer wegen einer in der Kindheit erlittenen Schädigung in späteren Jahren in Mitbe­stimmungsgremien am Arbeitsplatz mitwirkt und sich dann als freigestellter Betriebsrat gemobbt sieht, kann psychische Schäden hieraus nicht erfolgreich als Folge der kindlichen Schädigung geltend machen (Urteil vom 14.12.2011, Az.: S 13 VK 7924/09).

Der Kläger kam als Kind im Zweiten Weltkrieg im Gefolge eines alliierten Bombenangriffs zu Schaden. Jahrzehnte später sah sich der Schwerbehinderte Auseinandersetzungen an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt, bei denen auch abfällig über seine Behinderung gesprochen worden sein soll. Der Kläger machte daraufhin psychische Beeinträchtigungen geltend, die er letztlich auf die kindliche Schädigung zurückführte. Eine Anerkennung als Kriegsopfer wegen Hinken durch Bein-/Hüftschäden und eine teilweise Rentenzahlung lagen bereits vor.

Die auf Gewährung einer weitergehenden Kriegsopferrente gerichtete Klage wurde vom Gericht abgewiesen. Wer wegen einer in der Kindheit erlittenen Schädigung in späteren Jahren in Mitbestimmungsgremien am Arbeitsplatz mitwirke und sich dann als freigestellter Betriebsrat gemobbt sehe, könne psychische Schäden hieraus nicht erfolgreich als Folge der kindlichen Schädigung geltend machen. Auch sogenannte Hänseleien am Arbeitsplatz mit psychischen Folgen rechtfertigten nicht den Schutz des Gesetzgebers für geschützte und anerkannte Personenkreise (etwa Kriegs-, Verbrechensopfer; Verletzte von Arbeitsunfällen).  Denn der entsprechende Ursachenzusammenhang sei durch das von Dritten ausgehende Mobbing unterbrochen worden. Es bestehe allenfalls ein äußerst mittelbarer Bezug, der vorliegend nicht genüge.

VIII. Vertragsarztrecht

1. Konkurrenzschutz im einstweiligen Rechtsschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die einem Konkurrenten erteilte Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen (Beschluss vom 23.7.2012, Az.: S 11 KA 2883/12 ER).

Die Frage, ob die gesetzlichen Vorgaben für die Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen drittschützende Wirkung zukommt − mit der Folge, dass sich ein bereits zugelassener Konkurrent dagegen gerichtlich wehren kann − ist bislang ober- oder bundesgerichtlich nicht entschieden. Eine solche Klärung kann in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren nicht erfolgen, sondern ist einem Hauptsacheverfahren vorbehalten. In diesem Falle kann aber dem im Eilverfahren geltend gemachten Aussetzungsinteresse eines zugelassenen Konkurrenten der Vorrang zukommen gegenüber dem Interesse eines neu zugelassenen Arztes, bereits vorläufig von der Genehmigung Gebrauch machen zu dürfen. Investitionen, die der Empfänger der Genehmigung vor Eintritt ihrer Bestandskraft und damit nicht auf dem Boden einer gesicherten Rechtsposition getätigt hat, begründen für sich genommen kein überwiegendes Vollzugsinteresse. Denn dem Konkurrenten drohen im Falle eines sofortigen Vollzugs der Genehmigung unter Umständen unwiederbringliche wirtschaftliche Nachteile durch die Abwanderung von Patienten und damit eine nicht mehr kostendeckende Patientenzahl, die auch im Falle des Obsiegens in der Hauptsache nicht mehr reversibel wären.

2. Die Vergütung für in öffentlich geförderten Krankenhäusern erbrachte ambulante Notfallbehandlungen in den Quartalen 2/2005 bis 1/2007 ist in analoger Anwendung des § 120 Abs. 3 Satz 2 SGB V um einen zehnprozentigen Investitionskostenabschlag zu kürzen (Urteil vom 15.6.2012, Az.: S 20 KA 8338/07).

Die gegen den Abzug eines zehnprozentigen Investitionskostenabschlags für ambulante Notfallbehandlungen gerichtete Klage des Krankenhauses gegen die Kassenärztliche Vereinigung hatte keinen Erfolg. Nach dem Gesetz sei bei den öffentlich geförderten Krankenhäusern die Vergütung der im Rahmen einer Ermächtigung erbrachten ärztlichen Leistungen um einen Investitionskostenabschlag von zehn vom Hundert zu kürzen. Diese Wertung sei entsprechend auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen.

3. Honorarkürzungen wegen der Nichterfüllung der gesetzlichen Fortbildungspflicht sind verfassungsgemäß (Urteil vom 14.6.2012, Az.: S 5 KA 1846/11).

Die Klage eines 1942 geborenen Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe gegen eine zehnprozentige Kürzung seines vertragsärztlichen Honorars wegen der Verletzung der gesetzlichen Fortbildungspflicht hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht betonte in seiner Urteilsbegründung die Bedeutung der Fortbildungspflicht zur Erhaltung und Fortentwicklung der zur Berufsausübung erforderlichen Fachkenntnisse. Nach dem Gesetz sei die Erfüllung der Fortbildungspflicht für den zurückliegenden Fünfjahreszeitraum im Umfang von 250 Fortbildungspunkten nachzuweisen. Diese gesetzliche Regelung sei auch verfassungsgemäß. Sie diene der qualitätsgesicherten ambulanten Behandlung der Versicherten und damit einem wichtigen Grund des Gemeinwohls. Die pauschale Honorarkürzung stelle deshalb einen Abschlag für die potentiell schlechtere Qualität der ärztlichen Leistungen dar und solle den Vertragsarzt ähnlich wie ein Disziplinarverfahren nachdrücklich zur Einhaltung seiner Fortbildungsverpflichtung anhalten. Schließlich könne sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Verbots der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Alters oder seiner Behinderung berufen, da der Kläger nicht anders behandelt werde als die übrigen Vertragsärzte.

4. Die gesetzliche Regelung des § 121a Abs. 2 SGB V vermittelt keinen Drittschutz. Ein Vertragsarzt ist nicht berechtigt, die einem Konkurrenten erteilte Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen anzufechten (Urteil vom 25.4.2012, Az.: S 20 KA 3270/11).

Durch die Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen wird dem bereits zugelassenen Vertragsarzt nicht die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert, sondern es wird ihm nur ein weiterer Leistungs- und Abrechnungsbereich genehmigt. Es fehlt an einer Begründung oder Änderung des Basisstatus. Das Sozialgericht hat dabei die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur fehlenden Drittanfechtungsberechtigung gegen Dialysegenehmigungen auf den Fall einer Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen übertragen. Außerdem enthalte die gesetzliche Regelung keine ausdrückliche Kodifizierung eines Vorrang-Nachrang-Verhältnisses. Das Erfordernis der bedarfsgerechten Durchführung der in-Vitro-Fertilisation diene nur der Qualitätssicherung und der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Der Konkurrenzschutz ist allenfalls ein Rechtsreflex.

5. Abrechnungen eines Vertragsarztes mit einer Tagesarbeitszeit von bis zu 52 Stunden und 43 Minuten vor allem für zeitgebundene Leistungen sind nicht plausibel. Der Vertragsarzt muss das Honorar, das er für nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachte Leistungen abgerechnet hat, zurückzahlen. (Urteil vom 17.4.2012, Az.: S 5 KA 2884/09).

Der Kläger rechnete als Chirurg in den Quartalen 4/2006 bis 4/2007 an zahlreichen Tagen Leistungen im Umfang von Tagesarbeitszeiten mit mehr als 24 Stunden ab. An einzelnen Tagen wurden sogar Tagesarbeitszeiten von beispielsweise 52 Stunden und 43 Minuten oder 50 Stunden und zwölf Minuten abgerechnet. Die auffälligen Tagesarbeitszeiten beruhten auf der häufigen Abrechnung zeitgebundener Leistungen, d. h. von Leistungen, die der Vertragsarzt nur dann abrechnen darf, wenn der im Leistungsinhalt vorausgesetzte Zeitrahmen auch tatsächlich erfüllt ist (z. B. Arzt-Patienten-Kontaktzeiten von mindestens zehn bzw. 20 Minuten). Die Kassenärztliche Vereinigung beanstandete deshalb die Plausibilität der Abrechnungen des Klägers und forderte vom Kläger Honorar in Höhe von 67.409 Euro zurück.

Die hiergegen erhobene Klage des Chirurgen hatte keinen Erfolg. Dieser könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da Honorarbescheide grundsätzlich unter dem Vorbehalt sachlich-rechnerischer Richtigstellungen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen stehe. Dass Gesprächsleistungen, die nach den gesetzlichen Bestimmungen nur bei einer zeitlich genau festgelegten Mindestgesprächsdauer abgerechnet werden dürfen, tatsächlich nur bei Erfüllung dieser Voraussetzungen abrechenbar sind, sei offensichtlich. Die Verwendung von Tagesprofilen zur Feststellung, ob abgerechnete Leistungen vollständig erbracht worden sind, sei als Indizienbeweis für eine nicht ordnungsgemäße Leistungserbringung zulässig. Da die Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung des Chirurgen entfallen sei, dürfe die Kassenärztliche Vereinigung die Honorarbescheide aufheben und das Honorar sachlich-rechnerisch berichtigen. Sie habe dabei auch ihr Schätzungsermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.

6. Bei Vorliegen einer unzulässigen Verordnung von Arzneimitteln ist dem Beschwerdeausschuss die Festsetzung einer Beratung anstelle eines Regresses nicht gänzlich verwehrt (Urteil vom 17.2.2012, Az.: S 5 KA 1776/08).

Die klagende Krankenkasse begehrte vom beklagten Beschwerdeausschuss die Festsetzung eines Regresses gegen den beigeladenen Arzt wegen der zulassungsüberschreitenden Verordnung von Dronabinoltropfen zur Behandlung eines Lennox-Gastro-Syndroms (sog. Off-Label-Use). Der Beschwerdeausschuss hatte den von der Krankenkasse beantragten und vom Prüfungsausschuss festgesetzten Regresses in eine Beratung umgewandelt. Das Sozialgericht wies die hiergegen gerichtete Klage der Krankenkasse als unbegründet zurück. Dass im Rahmen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise eine vorgängige Beratung des Vertragsarztes nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht erforderlich sei, bedeute nicht, dass dem Beschwerdeausschuss bei Vorliegen einer unzulässigen Verordnung die Festsetzung einer Beratung anstelle eines Regresses gänzlich verwehrt oder untersagt wäre. Die Entscheidung des Beschwerdeausschusses, aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles ausnahmsweise eine Beratung anstelle eines Regresses festzusetzen, sei rechtmäßig. Der beigeladene Arzt habe die Therapie mit Dronabinol lediglich so fortgeführt, wie der Patient bereits vom vorbehandelnden Arzt mit vergleichsweise gutem Erfolg eingestellt war. Außerdem sei eine Umstellung der Medikation zwar möglich, bei Absetzen der Medikation mit Dronabinol jedoch eine Verschlechterung des Anfallsleidens mit der Gefahr eines unter Umständen lebensbedrohlichen status epileptikus zu befürchten gewesen. Schließlich sei der beigeladene Arzt zuvor noch nie auffällig geworden. Die Kenntnis des beigeladenen Arztes von Prüfanträgen der Krankenkasse lasse keine zwingenden Rückschlüsse auf die fehlende Verordnungsfähigkeit von Dronabinol im vorliegenden Einzelfall zu. Ferner habe sich auch die Krankenkasse offensichtlich nicht veranlasst gesehen, den Arzt spätestens mit der Antragstellung auf Festsetzung eines Regresses hinsichtlich bestehender Therapieoptionen zu beraten oder jedenfalls zu unterstützen, um eine aus ihrer Sicht sachgerechte Therapie des Versicherten zu gewährleisten. Eine Beratung sei im vorliegenden Fall auch nicht wirkungslos, da der beigeladene Arzt hierdurch erkennen kann, dass auch die Weiterbehandlung eines problematischen Einzelfalls mit der Medikation des vorbehandelnden Arztes, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig ist, nicht ohne Rücksprache mit der zuständigen Krankenkasse erfolgen könne.

IX. Elterngeld

1. Wird nach der Geburt des Kindes und während des Bezuges von Elterngeld Einkommen in Form von geldwerten Vorteilen in Form einer Dienstwagennutzung erzielt, ohne dass tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, stellt dies kein Einkommen im Sinne des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes dar und ist nicht auf den Elterngeldanspruch anzurechnen (Urteil vom 19.3.2012, Az.: S 17 EG 6737/10).

Der geldwerte Vorteil aus der Dienstwagennutzung für private Zwecke in dem Zeitraum, in dem keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, ist nach Auffassung des Sozialgerichts nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sei eine Berücksichtigung angezeigt, wenn „die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt“. Allein der tatsächliche Zufluss und damit die Erzielung von Einkommen genügten nicht, um dessen Anrechnung auf den Elterngeldanspruch zu begründen. Die Vorschrift verlange vielmehr zusätzlich, dass das erzielte Einkommen gerade aus einer Erwerbstätigkeit stamme, die der Elterngeldberechtigte im Bezugszeitraum ausgeübt habe. Auch die Gesetzesbegründung gehe erkennbar von dem Fall aus, dass der Elterngeldbezieher seine Erwerbstätigkeit reduziert habe und hieraus Einkommen erziele. Im vorliegenden Fall bestehe eine solche Deckungsgleichheit nicht. Das Entgelt bzw. die Gewährung geldwerter Vorteile sei hier nicht für denselben Zeitraum wie die Entgeltersatzleistung gezahlt worden, weil gerade für diesen Zeitraum ein entsprechender Entgeltanspruch besteht. Vielmehr beruhe die Fortgewährung der Nutzung des Dienstwagens zu privaten Zwecken in dem Zeitraum, in dem die Elterngeldberechtigte keine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, auf einem Entgegenkommen des Arbeitgebers. Es sei nicht ersichtlich, dass dies eine Vergütung für vergangene Arbeitsleistungen oder eine Vergütung für zukünftige Arbeitsleistungen darstellen solle.

X. Landwirtschaftliche Alterssicherung

1. Ehegatten von landwirtschaftlichen Unternehmern sind auch dann in der Alterssicherung der Landwirte versicherungspflichtig, wenn sie nicht im landwirtschaftlichen Unternehmen mitarbeiten. Jedoch besteht bei entsprechender Antragstellung die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht, für die Zeit vor Antragstellung jedoch nur, wenn diese innerhalb von drei Monaten nach Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen erfolgt (Gerichtsbescheid vom 5.7.2012, Az.: S 6 LW 6529/11).

Der Ehemann der Klägerin ist als gärtnerischer Unternehmer bei der Alterskasse für den      Gartenbau versicherungspflichtig. Nachdem diese von der am 30.12.2009 erfolgten Eheschließung erfahren und die Klägerin von der Befreiungsmöglichkeit in Kenntnis gesetzt hatte, beantragte die Klägerin am 21.1.2011 die Befreiung von der Versicherungspflicht. Diesem wurde stattgegeben, zugleich wurde aber für die Zeit vom 30.12.2009 bis 20.1.2011 die Versicherungspflicht der Klägerin festgestellt und für diesen Zeitraum eine Beitragsforderung erhoben. Mit der Begründung zu ihrer dagegen erhobenen Klage, dass sie in Vollzeit bei der Deutschen Telekom arbeite und nichts mit dem Betrieb ihres Ehemannes zu tun habe, konnte die Klägerin nicht durchdringen. Das Gericht hat dazu ausgeführt, dass es nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte allein darauf ankomme, dass die Klägerin Ehegattin eines Landwirts sei und die Einbeziehung von im Betrieb nicht mitarbeitenden Ehepartnern vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht bereits im Jahr 2003 für mit der Verfassung vereinbar erklärt worden sei. Eine frühere Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht scheitere daran, dass diese nach dem Gesetz erst nach Antragstellung möglich sei, da die Voraussetzungen für eine rückwirkende Befreiung, nämlich die Antragstellung innerhalb von drei Monaten nach Vorliegen der  Befreiungsvoraussetzungen, hier also der Eheschließung, nicht erfüllt seien.

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